„Nein, das wusste ich nicht“, sagt der Chef von der Pizzeria Da Fabio in der Schwetzinger Straße. Seit neuestem hat sein Restaurant eine eigene Webseite mit der Speisekarte sowie einer Bestellfunktion. Nur wusste der Chef von der Existenz der Webseite aber bisher nichts. Dabei steht sein Name sogar im Impressum der Webseite, mitsamt seiner Umsatzsteuer-Identifikationsnummer. Es ist eine von mehr als 50.000 Webseiten, die der Lieferservice Lieferando deutschlandweit für Restaurants und Imbisse im Internet angelegt hat. Angeblich sollen die Wirte darüber informiert worden sein, doch viele Wirte der betroffenen Restaurants wissen nichts davon. Recherchen des Bayerischen Rundfunks lieferten die ersten Erkenntnisse über diese Fälle, die auch zahlreiche Restaurants und Imbisse in der Metropolregion betreffen.
Vermittlungsprovision via standardisierte Webseiten
Seit dem Lockdown boomt das Geschäft mit dem Lieferservice von Essen und Getränken, es geht um viel Geld und es geht um Wettbewerbsvorteile in diesem Markt. Mit diesen neu erstellten Webseiten sichert sich Lieferando Marktanteile. Dafür hat Lieferando tausende Domains registrieren lassen, die meist den Restaurantnamen sowie den Stadtnamen beinhalten. Dort richtete Lieferando die standardisierten und minimalistischen Webseiten der Restaurants ein, die meist nur den Restaurantnamen mit einem immer wiederkehrendem einfachen Spruch wie „Einfach lecker!“, „Immer eine gute Idee!“ oder „Lecker, lecker!“ und einem Symbolfoto darstellen.
Das wichtigste aber sind die Speisekarte und die Bestellfunktion. Denn wer auf dieser Webseite etwas bestellt, der bestellt nicht direkt beim Wirt, sondern über Lieferando. Letztlich kocht der Wirt zwar das selbe Essen, aber 13 Prozent des Bestellwertes bleiben bei Lieferando als Vermittlungsprovision hängen. Und wenn Lieferando das Essen auch noch selber liefern soll, dann bleiben nochmals 30 Prozent bei Lieferando. Im Idealfall streicht Lieferando somit annähernd die Hälfte des Bestellwertes ein, als wenn die Kunde direkt beim Wirt bestellt und das Essen auch selber abholen würde.
Lieferando hilft angeblich der Gastronomie
Lieferando argumentiert, dass sie den Restaurants so helfen würden, gerade in der schwierigen Zeit des Lockdowns. Viele Restaurants oder Imbisse haben gar keine eigene Webseite oder sind noch nicht einmal auf Facebook vertreten. Mit den neuen Minimalwebseiten bringt Lieferando diese Restaurants ins Internet und erschließt denen so einen neuen Kundenkreis, wenn Bestellungen neuerdings auch über das Internet möglich sind.
Das klingt zunächst nach mehr Umsatz, wenn aber schon fast die Hälfte davon als Provision wegfällt, ist es fraglich, ob diese Hilfe für die Gastronomen tatsächlich eine Hilfe ist: „Das macht wirtschaftlich keinen Sinn“, sagt ein Mannheimer Gastronom, der seinen Namen nicht in der Öffentlichkeit lesen möchte. Die neuen Praktiken von Lieferando bezeichnet er als „Sauerei“ und verurteilt Lieferando, gerade in dieser für Gastronomen schwierigen Zeit des Lockdowns solche „geschäftsschädigende Machenschaften“ zu entwickeln.
Bewusste Täuschung der Kunden
Was der Wirt damit meint, wird bei einem Blick auf die technischen Details der Webseite deutlich: Die Minimalwebseiten von Lieferando sind nicht auf den ersten Blick für den hungrigen Kunden als eine Lieferando-Wenseite zu erkennen, schon auf Grund des Restaurantnamens in der Domain und des Impressums können sie leicht für die offiziellen Internetpräsenz des Restaurants gehalten werden. Diese Verwechslungsgefahr hat Lieferando bewusst eingebaut, der Kunde soll nicht merken, dass er bei Lieferando bestellt. Auch durch SEO-Optimierung und der Kooperation mit dem Google-Suchdienst werden den Kunden bewusst auf die von Lieferando angelegten Seiten der Restaurants geführt. Die Lieferando-Webseiten erscheinen somit als erste Treffer ganz oben in der Google-Suche, sie sind deutlich sichtbarer als die anderen Suchergebnisse.
Schattenwebseiten entlarven die wahren Hintergründe
Besonders hart trifft es dabei die Restaurants, die bereits eigene Webseiten betreiben oder auf anderen Sozialen Medien wie Facebook präsent sind. Die Lieferando-Schattenwebseiten erscheinen dann in der Suche vor den eigenen Webseiten und Internetpräsenzen der jeweiligen Restaurants. Da eine höhere Listung in Google auch mehr Umsatz generiert, gerade bei jüngeren Nutzergruppen, greift Lieferando quasi die bisherigen Online-Umsätze der Gastronomen ab, ohne dass es vielleicht der Kunde bemerkt. In den aktuelle Lockdown-Zeiten sind das die einzigen Umsätze der Restaurants, die sie in Zukunft im schlimmsten Fall mit Lieferando fast hälftig teilen müssen.
Diese Schattenwebseiten sind dabei dauerhaft angelegt. Auch wenn nach dem Lockdown wieder Essen im Restaurant möglich sein wird, wird der eine oder andere Kunde auch weiterhin bestellen, und Lieferando wird liefern und kassieren.
Betroffen von solch einer Schattenwebseite ist in Mannheim beispielsweise der „Little India“ Schnellimbiss im T2-Quadrat in der Innenstadt. Auf der eigenen Webseite kann der Kunde direkt beim Wirt bestellen. Aber durch die Google-Suche wird der Kunde fast unbemerkt auf die von Lieferando betriebene Schattenwebseite vom Little India gelenkt und bestellt dann bei Lieferando.
„Letztlich profitiert nur Lieferando davon“
Mit Hilfe solcher Schattenwebseiten glauben viele Gastronomen letztlich zu profitieren. Doch der zuvor zitierte Mannheimer Gastronom weiß, warum er nicht mit Lieferando kooperiert: „Letztlich profitiert nur Lieferando davon, und das nicht zu knapp.“