In drei Wochen, am 24. April, hätte die Mannheimer Maimess beginnen sollen: Auf Grund der Entwicklung des derzeitigen Infektionsgeschehen sagte die Stadt bereits diese Woche das größte Volksfest in der Region ab. Der Absage mischte die Stadt einen Funken Hoffnung bei: „Selbstverständlich arbeiten wir an Alternativen“, wie Christine Igel, Geschäftsführerin beim Veranstalter Event & Promotion Mannheim GmbH, mitteilte. Doch nicht überall löste die Ankündigung einer Alternative Freude aus, denn die soll „ähnlich Fun & Food im Jahr 2020“ sein, so Igel weiter – und bei dieser Veranstaltung lief letztes Jahr längst nicht alles gemäß den damaligen Corona-Bestimmungen ab.
Als einen mutigen, aber auch ein notwendiger Schritt bezeichnete Wirtschaftsbürgermeister Michael Grötsch letztes Jahr Fun & Food, die Mini-Mess im September und Oktober fand als Ersatz für die abgesagte Herbstmesse auf dem Messplatz statt. Mit 40 Schaustellerbetrieben sollte damals in Pandemiezeiten „eine Annäherung an die Schrittweise Rückkehr zu dem Leben“ ermöglicht werden, so der Bürgermeister. Fun & Food war zugleich aber auch ein großer Testlauf. „Es ist ein Fingerzeig, wie Veranstaltungen künftig stattfinden könnten“, sagte er mit Blick auf die damals noch nicht abgesagten Weihnachtsmärkte bei der Eröffnung von Fun & Food..
Die Anzahl der Besucher, die sich gleichzeitig auf dem Gelände aufhalten durften, war bei Fund & Food mit 500 gedeckelt, es galt Maskenpflicht in Warteschlangen und Fahrgeschäften, nicht aber beim Rundgang auf dem Gelände. Doch während im Zuge der damaligen Coronavorschriften landesweit bei allen Veranstaltungen die Daten der Besucher erfasst werden mussten, verzichteten die Veranstalter von Fun & Food auf die Erfassung: Eine Rückverfolgung der Kontaktdaten wäre bei einem Infektionsgeschehen damit nicht möglich gewesen.
Auch bei den Gastronomiebetrieben auf Fun & Food wurden keine Besucherdaten erhoben, während jeder Gastronom im Land damals zur Erfassung und Speicherung der Daten seiner Gäste verpflichtet war. Beim „wunderschönen Biergarten“ bei Fun & Food beispielsweise, wie es in einem Werbevideo heißt, gab es sogar drei Mal die Woche Live-Musik und gemäß Werbevideo auf Facebook eine in Corona-Zeiten ungünstige Botschaft: „Kommt her und macht Party.“
„Es gab keine Pflicht zur Datenerfassung“, erklärte Erster Bürgermeister Christian Specht im Oktober 2020 auf Anfrage in einer Sitzung des Sicherheitsausschusses im Gemeinderat. Der städtische Fachbereich Sicherheit und Ordnung, der damals die Hygienekonzepte bei Veranstaltungen prüfen und genehmigen musste, hatte dafür die Vergnügungsmesse Fund & Food nicht als Volksfest, sondern entgegen der Art der Veranstaltung vielmehr als Handels- oder Spezialmarkt genehmigt.
Dabei sollte gerade in Mannheim der Unterschied zwischen Handelsmarkt und Volksfest eigentlich hinlänglich bekannt sein: Pfalzgraf Johann II. von Zweibrücken hatte schon im Jahre 1613 der Stadt Mannheim Marktprivilegien verliehen, die Termine für zwei große jährlich stattfindenden Handelsmärkte in Mannheim wurden damals auf den 1. Mai und den 22. September festgelegt. Diese Märkte entwickelten sich nicht nur wirtschaftlich, sondern auch gesellschaftlich, denn es kamen nicht nur Kaufleute, sondern zur Belustigung der Händler und Besucher auch immer mehr Schausteller. 1876 wurden die beiden großen Mannheimer Märkte strukturiert und getrennt in den eigentlichen Verkaufsmarkt und in das Volksfest, das seit dem nördlich des Neckars gefeiert wurde. Aus dem Verkaufsmarkt entwickelte sich der heutige Maimarkt und aus dem Volksfest entwickelte sich die Mannheimer Mess.
Diese Entwicklung spiegelt sich auch in der aktuell geltenden Gewerbeordnung wider, die gemäß Paragraph 68 Absatz 1 einen Spezialmarkt als eine Veranstaltung, „auf der eine Vielzahl von Anbietern bestimmte Waren feilbietet“ definiert: Der Handel von Waren steht dabei klar im Vordergrund. Bekannteste Märkte in Mannheim sind beispielsweise der Maimarkt oder auch die Oldtimermesse Veterama.
Das Volksfest hingegen ist im Paragraph 60b der Gewerbeordnung als Veranstaltung geregelt, „auf der eine Vielzahl von Anbietern unterhaltende Tätigkeiten ausübt.“ Zwar können dort auch Waren feilgeboten werden, „die üblicherweise auf Veranstaltungen dieser Art angeboten werden“, doch der unterhaltende Vergnügungscharakter steht klar im Vordergrund. Die Mannheimer Mai- oder Oktober-Mess sind Volksfeste gemäß der Gewerbeordnung.
Diese Unterscheidung ist wichtig für die Anwendung der damaligen Corona-Verordnung des Landes, wie der stellvertretende Pressesprecher des Stuttgarter Ministeriums für Soziales und Integration auf Anfrage damals erklärte: „Soweit es sich um ein Markt nach § 68 Gewerbeordnung handelt, hat eine Datenverarbeitung somit nicht zu erfolgen. Soweit es sich um ein Volksfest nach § 60b Gewerbeordnung handelt, ist eine Datenverarbeitung hinsichtlich der Teilnahme an der Veranstaltung durchzuführen.“
Fun & Food war gemäß Gewerbeordnung definitiv kein Spezialmarkt, dort wurden mehrheitlich keine Waren angeboten, Fun & Food war statt dessen eine Messe zur Unterhaltung der Besucher: Als solche hätte die Veranstaltung von Amts wegen festgesetzt werden müssen. Und demnach hätten damit gemäß der damaligen Corona-Verordnung des Landes die Daten der Besucher zur Kontaktverfolgung erfasst werden müssen.
Mit der bewussten falschen Einordnung der Messe als Markt sparte sich der Veranstalter immense Personalkosten, die bei der Erfassung der Besucherdaten beim Zutritt und auch beim Verlassen der Veranstaltung sowie bei der anschließenden vierwöchigen Speicherung der Daten nötig gewesen wären: Immerhin kamen mehr als 90.000 Besucher zur alternativen Herbstmesse.
Fund & Food war damals nicht die einzige von der Stadt genehmigte Veranstaltung, bei der gültige Vorschriften zur Eindämmung der Pandemie und Rückverfolgung der Besucher zu Gunsten von einer wirtschaftlichen Durchführbarkeit geopfert wurden. Wenige Wochen später wurde der zweite (noch immer andauernde) Lockdown notwendig, da das Infektionsgeschehen unkontrolliert zunahm und die Kontakte der Infizierten nicht mehr zurückverfolgt werden konnten.
Nach diesen Erfahrungen mit der letztjährigen Fun & Food klingt die Ankündigung einer ähnlichen Veranstaltung in diesem Jahr etwas befremdlich. Und dennoch, bei der Stadt und dem Veranstalter Event & Promotion Mannheim scheint ein Umdenken stattgefunden zu haben, wie Geschäftsführerin Igel indirekt ergänzt: Die neue Fun & Food soll auf „Basis von verantwortungsbewusstem Handeln stattfinden, bei dem der Gesundheitsschutz an erster Stelle steht.“