Die Einschränkungen durch die Pandemie versteht das Orchester des Nationaltheater Mannheim als interessante Chance zu nutzen: Gustav Mahlers 1. Symphonie nicht spielen zu können, da die Pandemie-Vorgaben die Zusammenkunft eines so großen Orchesters nicht zugelassen hätten, hört sich zunächst schmerzlich an. Mit dem auf Kammerorchester-Größe zusammengeschrumpften aber damit coronakonformen Orchester schafften es statt dessen Stücke ins Programm des siebten Akademiekonzertes, die es in dieser Form vielleicht eher selten zu hören gibt. Drei Stücke aus der Lyrischen Suite von Alban Berg, das Trompetenkonzert von Joseph Haydn, Mahlers „Lieder eines fahrenden Gesellen“ und die Kammersymphonie von Franz Schreker sind zunächst mal eine interessante und vielversprechende Zusammenstellung.
Fein herausgeputzt haben sich die Musiker für das Akademiekonzert während es sich die Zuschauer im Pyjama auf dem Sofa zuhause gemütlich machen konnten. Statt Präsenzkonzert im Rosengarten gibt es einmal mehr einen Livestream, und der wirkt in den eigenen vier Wänden zunächst befremdlich, was sich mit Bergs genialer atonaler Lyrischer Suite erstmal noch verstärkt. Was der Weggang des Dirigenten Alexander Soddy für einen Verlust bedeutet, zeigt sich bereits mit diesem Werk: Hochmotiviert und in feinster Klarheit dirigiert er Bergs geheime Liebeserklärung und verleiht diesem mathematisch-strukturierten Werk ein subtiles und frisches Leben, so fein und nuanciert ist Soddy hinter jedem einzelnen noch so leisen Ton her.
„Die Trompete ist das schönste aller Instrumente.“ Diese Liebeserklärung von Lukas Zeilinger unterstreicht einmal mehr die emotionale Bindung des Trompeters an sein Instrument. Viele haben sein Trompetenspiel schon gehört, wenn er am Ostermorgen als Turmbläser von der Konkordienkirche die Wiederauferstehung Christi musikalisch in den Mannheimer Himmel verkündet. Im Akademiekonzert spielt er Haydns Es-Dur-Konzert für Trompete und Orchester mit ebenso himmlisch-faszinierender Brillianz und Leichtigkeit. Soddy lässt dem Orchestermusiker in seiner neuen Rolle als Solist dabei viel Freiraum zur Entwicklung, gleichzeitig formt er im Zusammenspiel mit dem Orchester einen bemerkenswerten Klangkörper, der Haydn in ein neues Licht rückt.
Auch wenn Mahlers 1. Symphonie nicht gespielt werden konnte, wurde auf Mahler in diesem Akademiekonzert nicht gänzlich verzichtet. Unter coronagerechter Orchestergrößte boten sich die „Lieder eines fahrenden Gesellen“ in der Version von Arnold Schönberg an, die gemäß dem Interview mit Soddy eine Verbindung zur 1. Symphonie haben. Doch auch die musikalische Nähe zum „Klagenden Lied“ war nicht zu überhören. Mit Thomas Berau fand sich ein kongenialer Bariton, der sich in einem märchenhaft-intimen Spannungsfeld der Sehnsüchte bewegte, das er ebenso brutal-dramatisch im „glühend’ Messer“-Lied bis zum Gänsehautfeeling steigern konnte.
Mit 23 Musikern auf der Bühne wurde mit Schrekers Kammersymphonie das Maximum an Musikern erreicht. Und auch da zeigte sich mehr als deutlich, dass Instrumente nicht immer mehrfach besetzt sein müssen. Es reicht eine einfache aber wunderbare Instrumentierung um ein Werk voller Zartheit und Filigranität gleichzeitig mit großartiger Kraft auszustatten. Jedoch braucht es dazu auch ein wohlgeformtes Orchester und einen engagierten Dirigenten, um diese fantastischen Klangbilder mit Leben zu füllen. Dem Orchester des Nationaltheaters unter Leitung von Alexander Soddy ist das im 7. Akademiekonzert auf beeindruckende Weise gelungen.
Der Abend ist ein wunderbares akustisches Geschenk für Mannheim, wobei das auf keinen Fall als Abschiedsgeschenk von Soddy zu verstehen ist: Sein Abschiedsgeschenk war die Ankündigung, trotz seinem Weggang vom Opernhaus der Musikalischen Akademie noch eine zusätzliche Spielzeit erhalten zu bleiben.
Am Ende zeigten sich dann aber doch zwei gravierende Nachteile des häuslichen Streaming-Konzertes gegenüber einem Präsenzkonzert im Rosengarten: Das Publikum zieht ausverkaufte Präsenzkonzerte den Streamings vor. Gemessen an den niedrigen Verkaufszahlen für dieses Konzert haben viele Mannheimer ein großartiges Akademiekonzert versäumt – aber dafür ist das Publikum selber verantwortlich. Und der zweite Nachteil offenbarte sich erst nach dem Schlussakkord: Der frenetische Schlussapplaus vor dem heimischen Fernseher blieb von den Musikern im Rosengarten ungehört!