Immerhin vor der eigenen Haustüre des Fachbereiches Sicherheit und Ordnung in der Karl-Ludwig-Straße in der Oststadt gibt es nichts zu beanstanden. Doch schon ein paar Meter weiter an der ersten Straßenkreuzung beginnt in Mannheim Sodom und Gomorra: Alleine in der Augustaanlage hängen mehr als 100 Wahlplakate, die nicht der Plakatierungsrichtlinie entsprechen.
Hunderte unbearbeitete Meldungen von falsch gehängten Plakaten
Im benachbarten und zuständigen Fachbereich für Sicherheit und Ordnung scheinen die Plakate offensichtlich noch nicht bemerkt worden zu sein, obwohl sie schon seit Wochen hängen. Die Parteien und ihre Kandidaten plakatieren in Mannheim größtenteils losgelöst von der Richtlinie, 6800.info hat bereits über nicht-ordnungsgemäße Plakatierungsaktionen der SPD, CDU, Grünen, Linke und der AfD berichtet.
Dem Fachbereich Sicherheit und Ordnung liegen in der Zwischenzeit auch mehrere hundert Fälle von gemeldeten Einzelbeanstandungen aus dem Stadtgebiet vor. Auch in diesen Fällen bleibt der Fachbereich größtenteils untätig: Wochen später hängen auch die gemeldeten Plakate noch immer dort, wo sie nicht hängen dürfen.
Plakate sollen nicht auffindbar sein
„Die Stadt Mannheim weist den Vorwurf zurück, bei der Durchsetzung der Plakatierungsrichtlinie untätig zu sein“, heißt es dazu von der Stadt: Der Fachbereich Sicherheit und Ordnung soll sich die gemeldeten Örtlichkeiten und Plakate angesehen und kontrolliert haben. Dass gemeldete Plakate dennoch nicht entfernt wurden, begründet die Stadt damit, dass bei einigen „Beschwerden die Beschreibungen der Örtlichkeiten ungenau sind, weshalb es vorkommen kann, dass vereinzelte Plakate nicht lokalisiert und somit nicht kontrolliert wurden.“
Warum der Fachbereich den Kreuzungsbereich der Kolping- und Lameystraße oder auch die rechte Straßenseite der Fressgasse vor Q6 und Q7 nicht lokalisieren kann, erschließt sich daraus aber nicht: Es sind nur zwei Beispiele von vielen konkret lokalisierbaren und zu beanstandenden Plakaten, die zwar gemeldet aber auch Wochen später noch nicht abgehängt wurden.
„Auch der städtische Ordnungsdienst hat im Rahmen seiner täglichen Streifen einen Blick auf die Wahlplakate“, teilt zudem die Stadt noch mit. Ob der Ordnungsdienst das tatsächlich macht, darf in Anbetracht der vielen noch immer sichtbaren Verstöße gegen die Plakatierungsrichtlinie zu Recht bezweifelt werden. Auch einige der bei den Parteien für die Plakatierung Verantwortlichen berichten von erstaunlich wenigen Anmahnungen vom Ordnungsdienst wegen falsch gehängter Plakate.
Mangels Personal nur Bußgelder für Autofahrer
Die Stadt spricht im Zusammenhang mit der Plakatierungsrichtlinie zudem auch von „begrenzten Personalressourcen“, auf Grund derer die Kontrollmaßnahmen „ihre natürlichen Grenzen haben.“ Die Corona-Regelungen oder der Kontrollen des ruhenden Verkehrs sollen weitere Schwerpunkte sein, die in der täglichen Arbeit das Fachbereiches berücksichtigt werden müssen, so die Aussage der Stadt.
Wie diese Aufgabenverteilung in der täglichen Praxis des Fachbereiches gehandhabt wird, zeigt ein Fall aus der Fressgasse: „Ich bin dafür nicht zuständig“, entschuldigt sich eine angesprochene Mitarbeiterin des Ordnungsamtes, „für Plakate haben wir ein ein eigenes Expertenteam.“ Sie belegt ein nicht ordnungsgemäß abgestelltes Fahrzeug mit einem Bußgeld während die gleich daneben falsch aufgehängten Plakate von ihr nicht beanstandet werden.
Plakate werden bei Aktion “Sicherer Schulweg” nicht kontrolliert
Trotz fehlendem Personal kündigt die Stadt zusätzliche Kontrollmaßnahmen an: Mit der Aktion „Sicherer Schulweg“ soll zum Schulbeginn sichergestellt werden, dass „Schüler in ihrem Sichtfeld nicht eingeschränkt sind und von anderen Verkehrsteilnehmern gut gesehen werden“, wie die Stadt mitteilt. Der städtische Ordnungsdienst wird daher rund um Schulen „gezielt verbotswidriges Parken auf Geh- und Radwegen, an Kreuzungen, Bushaltestellen oder Fußgängerüberwegen kontrollieren und ahnden.“
Verbotswidrig aufgehängte Wahlplakate, die das Sichtfeld rund um Schulen ebenfalls massiv einschränken, sind gemäß Pressemitteilung nicht Teil der gezielten Sicherheitsaktion. Die Stadt bestätigt auf Nachfrage lediglich, dass auch der städtische Ordnungsdienst im Rahmen seiner täglichen Streifen einen Blick auf Wahlplakate werfen würde – „auch im Umfeld von Schulen.“ Der Erfolg der Aktion bleibt bei den „begrenzten Personalressourcen“ in dem Fachbereich abzuwarten.
Plakataktionen vor Schulen erfordern konsquentes Handeln
Dabei ist die Einbeziehung der sichtbehindernden Plakate in Kontrollmaßnahmen gerade in diesem Wahlkampf besonders wichtig: So haben die Grünen ihre Plakatierung schwerpunktmäßig ausgerechnet in den von der Plakatierung ausgenommenen Kreuzungsbereich verlagert. Auch direkt an und vor Ampeln finden sich vielerorts Grüne-Plakate, besonders um Schulen herum. Schulen sind auf Grund der Verkehrsdichte und des zu erreichenden Personenkreises offenbar von besonderem Interesse der Grünen.
Dass Plakate „an vielen Stellen aufgrund den von ihnen verursachten Sichtbehinderungen ein nicht zu unterschätzendes Risiko für Verkehrsteilnehmer bilden“, war den Grünen noch 2019 wichtig, wie ihrem damaligen Antrag im Gemeinderat zur Änderung der Plakatierungsrichtlinie zu entnehmen ist. 2021 behindern massiv ausgerechnet die Grünen-Plakate Familien und Kinder, während die Grünen Politiker pünktlich zum Schulbeginn das Thema Familie und Kind werbewirksam in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfes stellen.
Überbelegung kann nicht geahndet werden
Die Grünen sind dabei nicht die einzige Partei, die eine auf bewusste Missachtung der Plakatierungsrichtlinie ausgelegte Plakatierungskampagne führt und damit letztlich von dem untätigen Fachbereich Sicherheit und Ordnung profitieren kann. Während die SPD und auch die Linken mit ihrer Flut an falsch gehängten Plakaten den schlichtweg überforderten Fachbereich vor sich hertreiben, nutzt die AfD eine Schwachstelle konsequent aus.
Gemäß Richtlinie dürfen nur zwei Plakate an einem Mast hängen. Oftmals hängen aber deutlich mehr Plakate an einem Standort. Welche zwei Plakate ordnungsgemäß als erste aufgehängt wurden und welche Plakate nach den ersten beiden Plakaten widerrechtlich dazu gehängt wurden, ist nicht immer eindeutig, denn oftmals werden die Plakate an einem Masten von den Plakatierern auch bewusst verschoben, um die Reihenfolge der Hängung zu vertuschen.
Verbotene Plakatierungsstrategie der AfD wird von der Stadt geduldet
„Sofern für die Verwaltung feststellbar ist, welche Partei für die Überbelegung verantwortlich ist, wird die Entfernung veranlasst. Ansonsten übt die Verwaltung ihr Ermessen aus“, teilt die Stadt hierzu mit. Das heißt im Klartext, dass sie Überbelegungen mangels Beweisen so gut wie nicht ahnden kann. Und genau das nutzt die AfD mit ihrer Strategie konsequent im ganzen Stadtgebiet aus.
Zum Schutz ihrer Plakate gegen Vandalismus hängt die AfD ihre Plakate immer hoch am Masten auf und fängt mit der Plakatierung meist auch erst an, wenn die anderen Parteien mit der Plakatierung fertig sind. Über die Richtlinie und über die Anzahl der bereits aufgehängten Plakate braucht sich die AfD dabei keine Gedanken zu machen: Sie hängt viele ihre Plakate einfach verbotenerweise dazu, da sie weiß, dass der Fachbereich nicht eingreifen wird – weil er nicht eingreifen kann. Die nicht zulässige Plakatierungskampagne der AfD in Mannheim wird damit von der Stadtverwaltung zwangsweise geduldet.
Besetzung und Evaluation des Fachbereiches Sicherheit und Ordnung
Es ist in diesem Zusammenhang natürlich reiner Zufall, dass ausgerechnet die Mannheimer Direktkandidaten zur Bundestagswahl, die am meisten die Plakatierungsrichtlinie missachten, ausgerechnet jene sind, die im Gemeinderat und im Ausschuss für Sicherheit und Ordnung sitzen oder lange Zeit saßen: Jörg Finkler (AfD) sitzt aktuell in beiden Gremien, Melis Sekmen (Grüne) und Isabel Cademartori (SPD) sitzen aktuell im Gemeinderat und beide saßen in der vorherigen Wahlperiode auch im Ausschuss und Gökay Akbulut (Linke) saß jahrelang in beiden Gremien, bevor sie 2017 nach Berlin in den Bundestag wechselte.
„Im Übrigen erfolgt nach der Wahl eine Evaluation der Plakatierungsrichtlinien“, wie die Stadt jetzt bereits ankündigt und in der auch die jüngsten Erfahrungen mit einfließen werden. Es ist davon auszugehen, dass dabei das Verhalten aller Parteien und Kandidaten kritisch hinterfragt wird. Ob es auch zu einer Evaluation des Fachbereiches Sicherheit und Ordnung kommen wird, das wird sich zeigen. Notwendig wird sie auf alle Fälle sein, denn deren Untätigkeit ebnet erst den Boden für wildes und verbotswidriges Plakatieren der Kandidaten und ihrer Parteien.