„Das ist eher die Ausnahme“, erklärt Bernd Petri, „Kraniche kommen eher selten über Heidelberg.“ Am Sonntagmittag waren im nebelverhangenem Heidelberg zunächst die trompetenhaften Rufe der Kraniche zu vernehmen, dann flogen etwa 45 Kraniche im typischen V-Formationsflug über Heidelberg auf süd-südwestlichem Kurs in ihr Winterquartier in Richtung Extremadura im spanischen Andalusien.
Bis zu 300.000 Kraniche in Hessen
Bernd Petri ist Ornithologe. Petri ist auch Mitglied des Landesvorstandes des Naturschutzbundes NABU in Hessen und als Vogelexperte kennt sich Petri schwerpunktmäßig mit Kranichen aus. Das klingt im Moment eher widersprüchlich, schließlich werden Kraniche vielmehr in Mecklenburg-Vorpommern verortet als in Hessen. Aber ein Großteil der 250.000 bis 300.000 Kraniche fliegt im Herbst von Mecklenburg-Vorpommern aus über Hessen in ihr spanisches Winterquartier.
Petri bezeichnet die Kraniche als „Schmalfrontzieher“, die in einem sehr engen Korridor auf ihrer Zugroute fliegen: „Straight Südwest“, so bezeichnet Petri den Kurs der Zugvögel: „direkt nach Südwesten.“ Dabei kommen die Kraniche regelmäßig über Nordhessen, „etwa auf Höhe Marburg – Gießen“, wie er erklärt, „eher selten würden Kraniche auf der südlicheren Route Frankfurt – Mainz zu beobachten sein.“
In vier Stunden in der Champagne
Um so erstaunter ist er über eine Sichtung aus Heidelberg: „Das ist absolut die südlichste Beobachtung.“ Aber wirklich erstaunt ist er nicht, wie er noch ergänzt: „In vier Stunden sind die in der Champagne am Lac du Der-Chantecoq, ihrem ersten Etappenziel und Rastplatz für die Nacht.“
Kraniche würden bei gutem Wetter und auf Sicht fliegen und sich an Flussläufen, Seen und Bergen oder Gebirgen orientieren, wie Petri berichtet. Beim Start in Mecklenburg-Vorpommern am frühen Sonntagmorgen hätten die Kraniche noch gutes Wetter gehabt. Aber der aufkommenden dichte Nebel am Sonntag in Teilen Mitteldeutschlands und insbesondere in den Flussniederungen könnte für die Kraniche zum Problem geworden sein.
Nebellage oder neue Flugroute?
Petri hält es für möglich, dass der Flug über Heidelberg „der Sichtbehinderung durch den Nebel geschuldet gewesen sein könnte.“ Dann hätten sich die Kraniche an den sich von dem nebligen Rheingraben absetzenden Bergen des Odenwaldes orientiert: „Kraniche sind erfahrene Flieger.“
Generell spricht er bei Kranichen von einem „biologischen Phänomen“ und bezeichnet die Tiere als extrem lernfähig: „Kraniche probieren viel aus.“ Und das gilt auch für ihre Flugrouten. Petri erwähnt auch die seit einigen Jahren zu beobachtende neue Flugroute der Kraniche entlang der nördlichen Alpen in ihr französischen Winterquartier in der Camargue: Dabei könnten die Kraniche von Nordostdeutschland kommend auch dem Rheingraben folgend über Heidelberg geflogen sein.
Kraniche kommen wieder
Wer Kraniche in der Metropolregion sichtet, soll die Beobachtung an dem NABU melden. Der Blick in den Himmel oder das achtsame Erkennen der typischen Trompetenrufe der Kraniche kann sich noch lohnen, denn noch immer sammeln sich tausende Kraniche in Norddeutschland und warten auf den Abflug in den Süden, wie Ornithologen aus Mecklenburg-Vorpommern berichten: der Abflug dauert je nach Wetter bis Ende November.
Aber wer jetzt im Herbst keinen Kranich mehr sieht, kann in ein paar Monaten erneut auf eine Sichtung hoffen: Denn ab Februar beginnt langsam der Rückflug der Kraniche von Spanien oder Frankreich nach Nordeuropa.