Nein! So lautet die Antwort aus der Stadtverwaltung. Ja sagen dagegen die anderen Beteiligten nach den Vorkommnissen am Mannheimer Wasserturm am späten Nachmittag des 28. Juni 2023.
Gegen 17.00 Uhr trafen sich etwa 30 Personen im Bereich des Wasserturms zu einer nicht angemeldeten Versammlung, wie der wenigen Stunden später herausgegebenen Pressemitteilung der Polizei Mannheim zu entnehmen ist. Zunächst lief damals alles so ab, wie schon zuvor bei den neuerdings durchgeführten bewegten Demonstrationen der Klimaaktivisten der Letzten Generation: Die Polizei stellt den Versammlungscharakter fest und sucht den Kontakt zu einem Sprecher der Gruppe, der dann als Art eines Versammlungsleiters fungiert.
Polizei stimmt Protestzug unter Bedingungen zu
„Nach erfolgter Gefährdungseinschätzung, unter Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse vor Ort, wurde mit diesem (Versammlungsleiter) eine mögliche Aufzugsstrecke besprochen“, wie die Polizei Mannheim auf Nachfrage das detaillierte Vorgehen an jenem Mittwochnachmittag nochmals bestätigt. Was das konkret heißt, erklärt besagter Versammlungsleiter und Sprecher der Protestgruppe, Raúl Semmler: „Wir wollten friedlich demonstrieren und dafür vom Wasserturm über den Friedrichsring und den Luisenring zur Jungbuschbrücke laufen.“
Es sei alles im Zuge des Gesprächs mit der Polizei am Wasserturm abgesprochen gewesen, auch alle Details, so Semmler weiter: „An der Kurpfalzbrücke sollten wir zur Seite gehen, um den Verkehr zwischendurch abfließen lassen zu können.“ Semmler hatte auch zugesagt, sich an die Vorgaben halten zu wollen, also auch keine spontanen Aktionen durchzuführen wie etwa das Festkleben auf der Straße oder Verlassen der besprochenen Route.
Versammlungsbehörde untersagt Protestzug
Nach den Verhandlungen mit den Klimaaktivisten und einer internen Beurteilung der aktuellen Lage auf der vorgeschlagenen Route stimmte die Polizei zu. „Die Versammlung wurde telefonisch bei der primär zuständigen Versammlungsbehörde der Stadt Mannheim angefragt“, wie ein Sprecher der Polizei erläutert.
Und nun passierte etwas Verwunderliches bei der im Dezernat 1 von Bürgermeister Christian Specht ansässigen Versammlungsbehörde: Nach deren Beurteilung unter den Aspekten der allgemeinen Sicherheit und Verkehrssicherheit wurde die Versammlung untersagt.
Nach Untersagung eskaliert die Lage
Auf Grund der Ablehnung eskalierte plötzlich die Situation, als die Klimaaktivisten trotz Untersagung durch die Stadt versuchten, ihren Demonstrationszug zu starten. Durch die Polizei wurden sie auf den Gehweg zurückgedrängt. Die Versammlung wurde anschließend durch die Polizei aufgelöst, die Personalien der Versammlungsteilnehmer festgestellt und Platzverweise erteilt.
Mit zu der Eskalation beigetragen hat eine an jenem Tag zusätzlich bekanntgewordene Information, dass es in der Stadtverwaltung angeblich eine Art Erlass oder Dekret geben soll, wonach Demonstrationen der Klimaaktivisten generell in Mannheim neuerdings verboten sein sollen. In Stuttgart gibt es beispielsweise seit Anfang Juli eine Allgemeinverfügung, wonach auf zentralen Straßen der Landeshauptstadt Blockaden der Klimaaktivisten nicht mehr zulässig sind.
„Die Begründung der Versammlungsbehörde klang für uns so, als seien Demonstrationen auf den Hauptstraßen zur Hauptverkehrszeit in Mannheim generell nicht mehr zulässig“, so Semmler: „Das ist aber genau der richtige Ort und die richtige Zeit, um unseren Protest für mehr Klimaschutz und um das Versagen der Regierung wirksam den Bürgern zu vermitteln.“
Versammlungsfreiheit im Grundgesetz verankert
„In Mannheim jedoch scheint das Grundrecht auf Versammlung anders interpretiert zu werden.“ Semmler bezieht sich in seiner Aussage auf den Artikel 8 des Grundgesetztes, der es ihm gestattet, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich zu versammeln. Hintergedanke dieses Grundrechts ist die Möglichkeit, sich aktiv am politischen Meinungs- und Willensbildungsprozess zu beteiligen.
Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.
Grundgesetz, Artikel 8
„Grundsätzlich gehört das Versammlungsrecht zu den Grundrechten“, so die Stadt Mannheim auf Anfrage zu der geschilderten Absage der Versammlung am 28. Juni 2023, „berührt sind die Versammlungsfreiheit und die Meinungsfreiheit.“ Erwähnt wird aber auch, dass solche Versammlungen unter Wahrung einer 48-Stunden Frist bei der Versammlungsbehörde zumindest anzuzeigen sind und es im Rahmen eines Kooperationsgespräches Auflagen beispielsweise zur Sicherheit geben kann.
Schränkt die Mannheimer Versammlungsbehörde das Grundrecht ein?
Da aber die Klimaaktivisten ihre eigenen Vorstellungen von der Durchführung ihrer Proteste haben, einigte sich die Versammlungsbehörde in Mannheim zusammen mit der Polizei auf ein besonderes Vorgehen, das auf einer einzelfallbezogenen Gefährdungseinschätzung beruht und die konkreten Verhältnisse vor Ort berücksichtigt. Wie die Stadt weiter erläutert, kann die Versammlung durchgeführt werden, wenn ein Ansprechpartner oder Versammlungsleiter festgestellt werden kann, „sich die Versammlungsteilnehmenden kooperativ zeigen und einen, unter Aspekten der allgemeinen Sicherheit und der Verkehrssicherheit geeigneten Platz oder Weg oder einen Streckenvorschlag der Polizei annehmen oder selbst vorgesehen haben.“
Was auf den ersten Blick positiv klingt, beinhaltet aber auch Einschränkungen, so die Information aus der Stadtverwaltung: „Sollte die Versammlungsörtlichkeit oder die Strecke so geplant sein, dass massive Verkehrsbeeinträchtigungen generiert oder wahrscheinlich erfolgen werden, ist die Versammlung zu verbieten und wird durch den Polizeivollzugsdienst aufgelöst.“ Ferner spricht die Versammlungsbehörde auch von einer „unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit“, die durch die „planmäßige Nichtanmeldung“ solcher Versammlungen entsteht, woraus „ermessensfehlerfrei zu schließen ist, dass solche Versammlungen zu verbieten bzw. nach § 15 Absatz 3 Versammlungsgesetz unmittelbar aufzulösen sind.“
Die Einschränkungen bestätigen aus Sicht der Klimaaktivisten letztlich genau das, was sie befürchtet haben: Es ist zwar kein Dekret oder Erlass, aber es gibt tatsächlich in Mannheim eine Vereinbarung, wonach schon mal jegliche nicht zuvor angezeigte Versammlung untersagt wird. Und auch ein Protest auf einer Hauptstraße ist nicht mehr zulässig. Denn massive Verkehrsbeeinträchtigungen wird es bei jedem Straßenprotest zwangsweise geben. Die Klimaaktivisten sehen daher ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit verletzt.
Keine Probleme in Heidelberg
Doch dabei gibt es Unterschiede, denn diese Regelung wird nicht nur in Mannheim, sondern auch in Heidelberg angewendet: Dort treffen dieselben Klimaaktivisten auf dieselbe Polizeibehörde. In Heidelberg marschieren die Aktivisten alternativ mittwochs zur selben Zeit und auf ähnlich wichtigen Hauptstraßen durch die Stadt.
Auch in Heidelberg wird mit den bewegten Demonstrationen der Klimaaktivisten wie in Mannheim verfahren, nur dass in Heidelberg die Stadtverwaltung die Einschränkungen weniger restriktiv anwendet. Zur Hauptverkehrszeit am Mittwoch, den 5. Juli, fand in Heidelberg ein friedlicher Demonstrationszug über die Hauptverkehrsstraßen und Neckarbrücke durch die Heidelberger Innenstadt statt, als ob es die Einschränkungen und Vorgaben gar nicht geben würde.
Es sei schlimm, dass die beiden Städte unterschiedliche Maßstäbe setzen würden und damit die Gespräche zwischen Polizei und den Versammlungsteilnehmern unnötigerweise erschweren würden, wie ein beteiligter Polizist beim Protestmarsch am 12. Juli in Mannheim im privaten Gespräch darlegt: Denn wenn die eine Stadt etwas erlauben würde, kann es nicht wenige Kilometer weiter verboten werden. Andere wiederum bemängeln auch die fehlende Präsenz der Versammlungsbehörde: Obwohl die Versammlungen der Klimaaktivisten in den Sozialen Medien angekündigt sind, ist offenbar bisher immer nur die Polizei vor Ort gewesen, nicht aber Vertreter der Versammlungsbehörde.
Klimaaktivisten testen ihre Grundrechte
Für Mittwoch, den 12. Juli, kündigten die Klimaaktivisten erneut einen Demonstrationszug in Mannheim an, Treffpunkt war wieder um 17 Uhr am Wasserturm. Auch wenn es im Vorfeld niemand explizit formulieren wollte, so war es dennoch offensichtlich, dass auf Grund der Vorkommnisse vom 28. Juni in Mannheim und vom 5. Juli in Heidelberg die Klimaaktivisten austesten würden, ob die Mannheimer Versammlungsbehörde die Einschränkungen der Grundrechte weiter durchsetzen würde: Es war daher zu erwarten, dass die Aktivisten wieder dieselbe Route über den Friedrichsring und Luisenring in den Jungbusch zurücklegen wollten – oder es zumindest versuchen wollten.
Die Polizei hatte sich im Vorfeld mit der Mannheimer Versammlungsbehörde abgestimmt, das war vor Beginn der Versammlung aus Polizeikreisen zu erfahren. Zudem erklärte die Stadt auf eine im Vorfeld gestellte Anfrage, dass jene am 12. Juli wahrscheinlich zu erwartende Route in den Jungbusch bei ähnlichen Rahmenbedingungen wie am 28. Juni als nicht genehmigungsfähig angesehen werde.
Grundrecht auf Versammlungsfreiheit: Parlamentarische Beobachterin vor Ort
Die Versammlung am 12. Juli war daher mit einer gewissen Spannung beladen, die bei entsprechendem Verlauf durchaus auch in einer unschönen Eskalation hätte enden können. Die Polizei war mit vielen Polizeikräften präsent, von der Versammlungsbehörde allerdings war wieder kein Vertreter vor Ort am Wasserturm.
Zur Wahrnehmung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit schaltete sich auch die Mannheimer Bundestagsabgeordnete Gökay Akbulut (Linke) ein, die als Parlamentarische Beobachterin gekommen war: Auch zur Dokumentation und zur Kontrolle der exekutiven Gewalt nahm sie an der Versammlung teil und stand als Vermittlerin zwischen den Teilnehmern und der Polizei und zur Abwendung einer möglichen Eskalation auf beiden Seiten bereit.
Verhandlungen wie auf einem Basar
Wie verhärtet die Fronten waren, zeigte sich schon kurz vor 17 Uhr, als die Polizei versuchte, den Kontakt zur Gruppe herzustellen respektive einen Ansprechpartner zu finden: Die Klimaaktivisten signalisierten der Polizei, dass sie aktuell keinen Gesprächsbedarf sehen, die Polizei zog sich unverrichteter Dinge wieder ein paar Meter zurück.
Die Klimaaktivisten wollten erst an der Straße mit der Polizei reden. Dort kam es dann auch zum Gespräch zwischen dem Einsatzleiter und Raúl Semmler, der seitens der Polizei als Ansprechpartner und Versammlungsleiter definiert wurde. Und es kam genau so, wie es vorauszusehen war: Die Klimaaktivisten wollten in Richtung Jungbusch, was die Polizei aber nicht genehmigen wollte. Statt dessen bot sie ein Demonstrationszug über die Augustaanlage in Richtung Planetarium an.
Zunächst brachte jede Seite ihre Argumente hervor, die die andere Seite meist kommentarlos zur Kenntnis nahm: Klimaschutz traf auf Versammlungsvorgaben, jeder sah sich im Recht. Es wurde verhandelt wie auf einem Basar, auch die Heidelberger Freiheit und die Mannheimer Einschränkung der Grundrechte kamen zur Sprache.
Schnelle Einigung dank diplomatischer Lösung
Als schon fast alles gesagt war, folgte noch eine Bitte des Einsatzleiters an die Klimaaktivisten, ihre Versammlungen in Zukunft wenigstens formell anzukündigen. Dann ging es dann doch recht schnell: Die Klimaaktivisten zeigten sich kooperativ, ebenso auch die Polizei. Letzte Details wurden besprochen wie etwa die Laufgeschwindigkeit und das Freihalten von Straßenbahngleisen.
Und die Polizei bat noch um ein paar Minuten Zeit, um sich zur Sicherung der Teilnehmer vor und hinter dem Protestzug positionieren zu können. Dann durften die Klimaaktivisten auf die Straße, der Einsatzleiter der Polizei gab den Befehl zum loslaufen: Der Protestzug durfte letztlich doch über den Friedrichsring und den Luisenring zum Jungbusch laufen, trotz aller zuvor geäußerten Bedenken und Vorgaben.
Es blieb alles friedlich und verlief so, wie es abgesprochen war, es gab keine besonderen Vorkommnisse. Auch die Parlamentarische Beobachterin Gökay Akbulut brauchte nicht aktiv werden, mehr als Beobachten war nicht notwendig.
Bleibt am Ende nur noch die Frage zu klären, warum entgegen der Einschränkungen und Vorgaben der Mannheimer Versammlungsbehörde letztlich doch noch der Protestzug stattfinden konnte. Die Frage beantwortete im Laufe der Versammlung im nicht-offiziellen Gespräch einer der Polizisten in sehr diplomatischer und vielsagender Weise: Sie hätten bei der Versammlungsbehörde angeblich niemand erreicht und damit die Demonstration ohne Beteiligung der Versammlungsbehörde genehmigt.