Der Mannheimer Verwaltungsgerichtshof machte es am vergangenen Freitag (7. Juni 2024) spannend: Es war kurz nach 16 Uhr, weniger als zwei Stunden vor dem geplanten Versammlungsbeginn, als das Gericht seine Entscheidung auf die Beschwerde der Stadt Mannheim gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom Tag zuvor verkündete und kurzfristig der AfD untersagte, am Marktplatz in Mannheim zu demonstrieren.
Auf Allgemeinverfügung folgt Aufhebung und letztlich Verbot
Das Karlsruher Gericht gab am Vortag zunächst einem Eilantrag des baden-württembergischen Landesverbands der AfD (AfD) statt, wonach diese am Freitagabend auf dem Mannheimer Marktplatz eine Großdemonstration abhalten dürfe – dort war eine Woche zuvor bei einem offenbar religiös-politisch motivierten Angriff ein Polizist getötet worden.
Kurz nachdem die Stadt Mannheim auf dem Platz am Montag selber noch eine Gedenkveranstaltung abhielt, widmete sie per Allgemeinverfügung den Platz um in eine Gedenk- und Trauerstätte, auf der zeitlich befristet keine weiteren Versammlungen mehr stattfinden dürfen. Die städtische Verfügung zielte auch auf die AfD, denn die hatte bereits kurz nach dem Anschlag und noch vor dem Erlass der Stadt Mannheim auf dem Marktplatz für den Freitag vor der Europa- und Kommunalwahl eine im inhaltlichen Zusammenhang mit dem Anschlag stehende Großveranstaltung angemeldet und landesweit beworben.
Gegen die Verfügung klagte die AfD am Mittwoch zunächst noch erfolgreich in Karlsruhe, wurde dann aber am späten Freitag Nachmittag vom 12. Senat des Mannheimer Verwaltungsgerichtshofes letztinstanzlich in die Schranken gewiesen. Die AfD war gezwungen, ihre Großdemonstration auf den benachbarten Paradeplatz zu verlegen.
Das Grundgesetz in der Urteilsbegründung
Das Mannheimer Gericht argumentiert dabei, dass der AfD ein „großer Teil des wesentlichen Kerns ihres Versammlungsrechts nicht genommen“ sei, zwischen den beiden Plätze bestehe immerhin eine „Sichtbeziehung.“ Insbesondere aber führt das Gericht den im Grundgesetz verankerten Persönlichkeitsschutz des getöteten Polizisten als einer der Hauptgründe in ihrer Abwägung an. Denn würde sich erweisen, so die Argumentation, dass das „postmortale Persönlichkeitsrecht des getöteten Polizisten aus Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz durch die geplante Versammlung verletzt worden sei, wäre dieser Schaden nicht wieder gut zu machen.“
Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, Artikel 1, Absatz 1
Bemerkenswert bei der Begründung ist die Tatsache, dass nicht irgend ein verstaubter Verwaltungsparagraph das Urteil begründet, sondern vielmehr der erste, der wichtigste und der elementarste Satz und Paragraph aus dem über allem stehenden Grundgesetz, quasi die Generalklausel und die Maxime eines jeden guten Handelns.
Gedenken hinter der Gedenkstätte
Wie richtig die Entscheidung und insbesondere auch die Begründung des Mannheimer Gerichts ist, zeigte sich bereits wenige Minuten nach Bekanntwerden des Urteils am späten Freitagmittag. Es war kurz vor 17 Uhr und der Gerichtsbeschluss noch keine Stunde alt, als sich die Doppelspitze der AfD mit ihren beiden Vorsitzenden Markus Frohnmaier und Emil Sänze auf dem Markplatz zur Kranzniederlegung einfand.
Doch um eine ehrenvolle Würdigung des getöteten Polizisten ging es der AfD gar nicht, das zeigte sich bereits bei der inszenierten Ankunft. So lief Frohnmaier mit seinen Personenschützern hinter dem Anschlags- und Gedenkort und hinter dem Blumen- und Kerzenmeer vorbei.
Auch die weitere Handlung spielte sich zunächst nur hinter der Gedenkstätte ab. Frohnmaier gab dort Interviews und stand für Fotos zur Verfügung, zusammen mit seinem Co-Vizevorsitzenden Sänze sowie den damaligen Mannheimer AfD-Gemeinderatskandidatinnen Nihal Sariyildiz und Silke Koch präsentierten sie die Gedenkkränze des Mannheimer AfD-Kreisverbandes sowie des AfD-Landesverbandes Baden-Württemberg.
Der Tod wird instrumentalisiert, aus Kränzen werden Wahlplakate
Frohnmaier und Sänze verschwanden ebenso schnell wieder, wie sie gekommen waren. Ohne persönliche Würdigung des verstorbenen Polizisten ging es nach wenigen Augenblicken hinter dem Gedenkort wieder zurück zum wenige Meter entfernten Paradeplatz, dort wo eine Stunde später die Großveranstaltung stattfinden würde.
Das Ablegen der Kränze besorgten derweil Sariyildiz und Koch alleine – ohne die Vorsitzenden Sänze und Frohnmaier, die waren da schon nicht mehr vor Ort. Ein sonst übliches Innehalten oder ein kurzes Gedenken an den verstorbenen Polizisten an den abgelegten Gedenkkränzen gab es für die AfD nicht. Statt dessen wurden noch schnell ein paar Handyfotos geschossen: Ein aus der Perspektive von Nihal Sariyildiz gemachtes Foto taucht wenig später auf der Instagram-Seite der AfD auf.
Wobei das Wort „ablegen“ im Zusammenhang mit den AfD-Kränzen schon nicht zutreffend ist. Denn die Kränze wurden nicht im Gedenken im Blumenmeer abgelegt, sondern vielmehr an den Zaun dahinter aufgehängt – am höchst möglichen Punkt, so wie auch nahezu alle Wahlplakate der AfD stets am höchsten Punkt am Laternenmast aufgehängt werden.
Der eigentliche Gedenkort für den getöteten Polizisten mit all den niedergelegten Wünschen, Gedanken, Blumen, Kerzen und Fotos wird durch die AfD zur pietätlosen Kranzabwurfstelle degradiert. Die Kränze mutieren zu runden Wahlplakaten, das vermeintliche Gedenken verkommt bei der AfD zur politischen Botschaft: Empatiefrei instrumentalisiert die AfD den Tod des Polizisten für ihren Wahlkampf.
AfD bestätig die Sorge der vorausschauenden Richter
Die beiden AfD-Kränze am Mannheimer Gedenkort sind bisher die einzigen Kränze einer politischen Vereinigung, andere Parteien hielten sich selbst noch im Vorfeld der Wahlen respektvoll zurück. Einzig die AfD nützt die Instrumentalisierung des getöteten Polizisten zu ihrem Vorteil in vollem Umfangl aus.
Die AfD selber bestätigt damit bereits kurz nach der Urteilsverkündung des Verwaltungsgerichtshofes die Richtigkeit der Entscheidung und die in der Begründung geäußerten Bedenken im Bezug auf die Persönlichkeitsrechte. Die Richter hatten es kommen sehen, dass die Veranstalter wie auch die Teilnehmer der geplanten AfD-Demonstration der Würde des getöteten Polizisten in nicht wieder gut zu machender Weise schaden würden.
Die Würde des Menschen ist unantastbar – Seit den Schrecken und Verbrechen der Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg dominiert diese Maxime und Generalklausel das Grundgesetz und garantiert das friedliche Zusammenleben. Sie ist unverhandelbar und muss doch immer wieder aufs Neue verteidigt werden, wie jüngst durch den Mannheimer Verwaltungsgerichtshof im Urteil gegen die AfD.
Die konsequente Anwendung des Grundgestzes hat Mannheim am 7. Juni vor schlimmerem bewahrt. Es wird schätzungsweise nicht das letzte Mal sein werden, dass Paragraph 1, Absatz 1 des Grundgesetzes als Urteilsbegründung herangezogen werden muss. Denn dass 80 Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes ausgerechnet einmal mehr eine rechtspopulistische und in Teilen rechtsextreme Partei mit der Unantastbarkeit der Menschenwürde in Konflikt gerät, ist kein Zufall.