Ein Flugzeug am Himmel, ein Kondensstreifen: Im Lockdown weckt so etwas nicht nur Sehnsucht, es ist in Corona-Zeiten auch eine Seltenheit geworden. Am Mittwochmittag war ein ganz besonderes Flugzeug am Himmel über der Metropolregion zu beobachten: Eine Boeing 737 Max 8 überflog von Norden kommend Heidelberg und war dank ihres Kondensstreifens am blauen Himmel deutlich sichtbar.
Zwei Abstürze mit 346 Toten
Es war sicherlich nicht das erste Mal, dass ein solches Flugzeug die Metropolregion überflog. Die allererste Boeing 737 wurde im Jahre 1967 an die Lufthansa in Frankfurt ausgeliefert. Seit dem wurde und wird der Flugzeugtyp kontinuierlich weiterentwickelt und verbessert. So wurde ab 2011 etwa die 737-Reihe für den Einsatz von größeren Triebwerken modernisiert, unter der neuen Bezeichnung Boeing 737 Max sollte sie wirtschaftlicher und mit einer größeren Reichweite betrieben werden. Doch mit den größeren Triebwerken wurde auch die Aerodynamik des Flugzeugs maßgeblich verändert, was dazu führte, dass zusätzlich eine neue Software mit dem Namen Maneuvering Characteristics Augmentation (MACS) nötig wurde, um das Flugzeug in bestimmten Fluglagen automatisch stabil zu halten.
Nach dem Erstflug im Januar 2016 wurden ab Mai 2017 die ersten Exemplare der Boeing 737 Max 8 an Fluggesellschaften in der ganzen Welt ausgeliefert. Doch am 29. Oktober 2018 stürzten in Indonesien sowie am 10. März 2019 in Äthiopien zwei fast fabrikneue Exemplare ab und rissen 346 Menschen an Bord in den Tod. Kurz darauf wurden die Maschinen diesen Typs weltweit mit einem Startverbot belegt, um die Ursache der Abstürze zu ermitteln.
Wiederzulassung und doch bleiben die Flieger am Boden
Ausgerechnet die neue Stabilisierungssoftware MACS soll für die Abstürze verantwortlich sein, wie die ersten Untersuchungen ergaben. Sie soll nicht nur fehlerhaft gewesen sein, auch die Handhabung soll den Verantwortlichen im Cockpit vom Hersteller nicht ausreichend vermittelt worden sein. Die Untersuchung kam zudem zu dem Ergebnis, dass es bereits bei der Zertifizierung und Zulassung der Boeing 737 Max bei den amerikanischen Zulassungsstellen zu Unstimmigkeiten zu Gunsten von Boeing gekommen sein soll.
Nach technischen Veränderungen und einer Neuzulassung dürfen seit Ende letzten Jahres in den USA Flugzeuge des Typs Boeing 737 Max wieder kommerziell eingesetzt werden. Die europäischen Behörden hoben Ende Januar 2021 das Flugverbot ebenfalls wieder auf, in China besteht derzeit noch immer ein Flugverbot für diesen Typ. Nach der Wiederzulassung in Europa sollte es noch ein wenig dauern bis am 17. Februar TUIfly den ersten kommerziellen Flug in Europa mit einer wieder zugelassenen Boeing 737 Max 8 durchführte.
Bisher haben nur wenige europäische Fluggesellschaften ihre seit 2019 auf Grund der Abstürze stillgelegten Boeing 737 Max wieder in Betrieb genommen. Das liegt weniger an dem Modell sondern vielmehr an der Corona-Pandemie, die den Personenflugverkehr fast überall faktisch zum Erliegen gebracht hat. So waren am gestrigen Mittwoch (24. März 2021) nur drei solcher Boeing 737 Max 8 in ganz Europa kommerziell im Einsatz: TUIfly flog mit einer ihrer Boeing 737 Max 8 von Brüssel über Malaga nach Alicante und wieder zurück, Enter Air führte einen Inlandsflug von Warschau über Poznan nach Kattowice durch und die polnische LOT flog mit einer Boeing 737 Max 8 von Warschau nach Oslo und zurück: Es war der erste Passagierflug der LOT mit einer Boeing 737 Max 8 nach der Wiederzulassung.
Testflug bringt erste Boeing 737 Max 8 über Heidelberg
Darüber hinaus war am Mittwoch noch eine vierte Maschine in Europa unterwegs, die kurz nach 14 Uhr auf südlichem Kurs direkt über Heidelberg flog. Es war das erste Mal seit Wiederzulassung im Januar diesen Jahres, dass eine Boeing 737 Max 8 über die Metropolregion flog: Die wenigen anderen Boeing 737 Max 8-Flüge berührten in den vergangenen zwei Monaten nicht die Metropolregion.
Es war auch kein kommerzieller Flug, es dürfte sich vielmehr um einen Testflug gehandelt haben. Denn der Flug startete in Basel und landetet nach neun Stunden auch dort wieder. Um 8.04 Uhr hob die Boeing 737 Max 8 in Basel ab und flog über Paris und die Bretagne hinaus auf den Atlantik. Über die Biskaya ging es zwischen La Rochelle und Bordeaux wieder zurück nach Frankreich in Richtung Lyon. Der Flug wurde über Genf und Zürich in Richtung Norden fortgesetzt: Über Stuttgart ging es weiter bis zur Elbe bei Wittenberge und über Bremen und Frankfurt erreichte die Maschine auf nunmehr südlichem Kurs um 14 Uhr Heidelberg. Wenig später hätte sie wieder in Basel landen können, doch flog sie noch einmal über Paris hinaus auf den Atlantik und über Lyon diesmal direkt zurück nach Basel, wo die Maschine um 17 Uhr wieder landete.
Boeing Business Jet ohne Holzklasse
Bei der Maschine, die gestern über Heidelberg kam, handelt es sich auch nicht um eine gewöhnliche Boeing 737 Max 8 wie sie von einer normalen Airline betrieben wird mit einer regulären Holzklasse-Bestuhlung für bis zu 200 Passagiere. Vielmehr handelt es sich um einen Boeing Business Jet (BBJ), ein Geschäftsreiseflugzeug mit der Typenbezeichnung BBJ MAX 8 für den wohlhabenden Einzelreisenden. Auf Basis einer gewöhnlichen Boeing 737 Max rüstet Boeing diese BBJ-Flugzeuge für die maximalen Anforderungen seiner Individuellen Kunden um. Mit zusätzlichen Tanks kann sie dann fast doppelt so weit und doppelt so lange fliegen wie eine gewöhnliche Boeing 737 Max 8: Sie könnte damit die gestern zurückgelegte Strecke bei maximal 14 Stunden Flugzeit ohne Zwischenstop fast zwei Mal zurücklegen.
Die gestern über Heidelberg gesichtete Boeing wurde 2018 in Seattle, WA (USA) als Seriennummer 62743 und Auftragsnummer 7030 gebaut. Am 14. August 2018 wurde sie an den neuen Eigentümer und Betreiber Brilliant Aviation Limited übergeben, der sie auf den Cayman Inseln in der Karibik registrieren lies. Direkt nach der Übergabe der Maschine wurde sie an die Ostküste der USA überführt, in Bundesstaat Delaware sollte sie ab September 2018 ihre Bemalung und auch die sicherlich luxuriöse Innenausstattung erhalten. Einen Monat später stürzte in Indonesien die erste Boeing 737 Max 8 ab. In Delaware jedenfalls wurde nicht viel an der Maschine gearbeitet, weiterhin ohne Lackierung wurde sie im Januar 2019 nach Basel zu Jet Aviation überführt. Zwei Monate später stürzte die zweite Maschine in Äthiopien ab, alle Flugzeuge des Typs wurden für die nächsten zwei Jahre stillgelegt.
Klage gegen Boeing eingereicht
Jet Aviation in Basel ist auf die individuelle Ausstattung von Geschäftsreiseflugzeuges spezialisiert. Ob seit Januar 2019 an der Maschine gearbeitet wurde, ist nicht bekannt. Und ob der Langstreckenflug über Heidelberg den Beginn oder den Abschluss der Innenausbauarbeiten dokumentiert, bleibt somit auch offen. Auf Fragen zum Zwecke des Langstreckenfluges oder zu sonstigen Informationen zum Flugzeug wollte sich Jet Aviation nicht äußern.
Jedenfalls ist nun wieder Bewegung in die Sache gekommen: Nicht nur, dass die Flugzeuge seit Anfang diesen Jahres wieder fliegen dürfen, auch in Basel und am Himmel über Heidelberg tut sich nachweislich wieder etwas, ebneso wie beim Eigentümer der Maschine Brilliant Aviation Limited. Denn der hat am 26. Februar 2021 beim zuständigen Bezirksgericht in Seattle, Washington Klage gegen Boeing wegen der Abstürze und Fehler bei der Zulassung der Boeing 737 Max 8 eingereicht und den Kaufvertrag für seine Boeing 737 widerrufen.
Das Flugzeug im Steuerparadies
Wer sich genau hinter Brilliant Aviation Limited verbirgt, ist nicht bekannt. Die Firma sitzt auf den Cayman Inseln in der Karibik, wo das Flugzeug registriert ist. Die Inseln sind ein Steuerparadies, das schon seit 2001 in den USA und seit letztem Jahr auch auf der von der EU geführten Schwarze Liste der nicht kooperativen Länder steht: Auf den Cayman Inseln gilt die Steuerfreiheit, damit wird dort die Steuerflucht begünstigt, so die Vorwürfe diverser Länder und Organisationen.
Obwohl der Eigentümer der Boeing dem Kauf gerichtlich widerspricht, trägt diese unterhalb der Heckflosse des Flugzeuges noch die Flugzeugkennung des klagenden Eigentümers VP-CMA. Auch das Rufzeichen der Maschine im Flugverkehr am gestrigen Mittwoch lautete noch VP-CMA. Die Buchstabenfolge VP-CMA könnte Zufall sein, sie könnte aber auch als VIP-Cayman gelesen werden.
Ist das dann die Fluggesellschaft, die Menschen die Hanno Berger zur Flucht aus Deutschland in die Schweiz verhilft oder nimmt der einen ganz normalen Linienflieger oder fährt einfach mit dem Porsche rüber?